Verzeihen: Warum Verzeihen in der Beziehung wichtig ist
Nach einem Vertrauensbruch fällt es manchmal schwer, dem Partner das Geschehene zu verzeihen. Dabei ist gegenseitiges Vertrauen und das Verzeihen nach einem Fehler ein wichtiges Element in einer guten, stabilen Beziehung. Alte Verletzungen und Unverzeihliches dagegen belasten die Beziehung dauerhaft. Das kann – ganz realistisch – krank machen.
Einen Fehler des Partners zu verzeihen dagegen zeugt davon, wie wichtig die Beziehung – und auch der Partner selbst – sind. Leicht fällt das Verzeihen aber meistens nicht. Ganz im Gegenteil. Dabei sind die Folgen des Nicht-Verzeihens schwerwiegend:
- Grübeleien und Nachtragen belasten das Miteinander
- Misstrauen beherrscht den Umgang in der Partnerschaft
- weitere Vertrauensbrüche werden stillschweigend vorausgesetzt
Schließlich ist es schon einmal vorgekommen, kann sich also jederzeit wiederholen. Selbst scheinbar kleine Verletzungen wie vergessene Termine oder Missverständnisse schaukeln sich so in den vergehenden Beziehungsjahren zu großen Wellen auf. Die ursprüngliche Art der Kränkung lässt sich gar nicht mehr konkret benennen, stattdessen kocht die Kränkung selbst bei jedem normalen Konflikt mit auf. Das belastet die Beziehung – und auch die Gesundheit. Denn wer diese alten Verletzungen mit sich herumträgt, wer grübelt und auf Rache sinnt, neigt eher zu Depressionen, Angst- und Panikattacken, Schlafstörungen oder Migräneanfällen. Die Verbindung aus schwelenden Konflikten in der Beziehung und diesen sehr körperlichen Begleiterscheinungen wird allerdings nicht oft gezogen. Zu selbstverständlich sind die älteren Verletzungen, zu unkonkret der Anlass für Grübeleien.
Konkreter und damit greifbarer sind akute Verletzungen. Besonders schwer zu verzeihen sind dabei Seitensprünge, aufgeflogene Lügen oder gebrochene Versprechen.
Die zwei Seiten des Verzeihens
Nun ist es passiert, der Partner hat einen verletzt und irgendwie muss es ja bewältigt werden. Dabei gibt es zwei wichtige Seiten:
- die eigene Seite als der- oder diejenige, der/die verletzt wurde
- die andere Seite von demjenigen, der verletzt, betrogen oder belogen hat
Beide Seiten müssen, um das Geschehene vergeben zu können, gesehen werden. Dabei lohnt es sich, dem Grund für die Verletzung auf die Spur gehen:
- Ist es der Seitensprung – oder das Angelogenwerden?
- Ist es der verpasste Termin – oder der fehlende Respekt für wichtige gemeinsame Angelegenheiten?
- Ist es das Schweigen bei familiären Auseinandersetzungen – oder der fehlende Rückhalt für den Partner, der sich alleine der kritischen Schwiegermutter oder den spöttischen Kommentaren der Verwandtschaft aussetzen musste?
Das auch zu benennen, macht es für beide Seiten – für „Opfer“ und „Täter“ – wesentlich einfacher, die Kränkung wirklich wahrzunehmen. Denn eine Entschuldigung für eine oberflächlich betrachtete Tat, die gar nichts mit der eigentlichen Ursache der Kränkung zu tun hat, was soll die bewirken? Eben: Nichts. Das Gefühl der Verletzung bliebe bestehen, der Partner selbst kann den weiterbestehenden Konflikt gar nicht richtig zuordnen. Allzu schnell entsteht daraus ein Kreislauf aus Vorwürfen und enttäuschten Erwartungen.
Wenn Verzeihen keine Option zu sein scheint
Es sind in der Regel drei Ursachen, die das Verzeihen scheinbar unmöglich machen:
- umfassende Wut auf den Partner und sein Vergehen
- Nicht-Verzeihen als Positionierung zum Unrecht
- Nicht-Verzeihen als Akt der Bestrafung
Die Wut über das, was passiert ist, bleibt groß. Verzeihen scheint einfach keine Möglichkeit zu sein. Wer jetzt weitermacht wie bisher, den Konflikt aber unausgeräumt lässt, riskiert langfristig die Beziehung. Die wichtige Frage an dieser Stelle ist immer: Sind die eigenen Enttäuschungen, ist die eigene Wut es wert, die Partnerschaft langfristig zu zerstören?
Ähnlich wie die Wut ist auch das Gefühl, dem anderen keinesfalls Recht geben zu können, eine scheinbar gute Begründung für fehlendes Verzeihen. Besonders wenn es um grundlegende moralische Werte geht, fühlt sich das Vergeben schnell wie „Recht geben“ an. Im Falle eines Seitensprungs bedeutet das Verzeihen womöglich, dass der Partner eine Blankobescheinigung erhält.
Dabei lässt sich das Vergeben sprachlich ganz eindeutig vom erlittenen Unrecht trennen: „Ich verzeihe dir, was du getan hast.“ Da ist keine Rede davon, dass der Seitensprung, das gebrochene Versprechen oder der fehlende Rückhalt in irgendeiner Form akzeptabel wäre.
Noch einen weiteren Grund gibt es, um das Verzeihen aufzuschieben: Wenn das Nicht-Verzeihen gleichzeitig als Bestrafung fungiert. In einer gesunden, ausgeglichenen Beziehung sollte Bestrafung zwar keine Rolle spielen, trotzdem verfallen auch in sich ruhende Erwachsene ab und an in solche Machtspielchen. Das schadet allerdings langfristig der gemeinsamen Vertrauensbasis. Vergeben und vergessen bedeutet tatsächlich, die Bestrafung ad acta zu legen.
Um sich selbst und die eigene Haltung zu prüfen, genügt die Fragestellung: „Will ich verzeihen?“ Bleibt die Antwort auch nach sorgfältiger Abwägung „nein“, bleibt als Ausweg meist nur die Trennung vom Partner. Ist die Antwort allerdings ein klares „Ja!“, dann wird es Zeit, sich mit dem aktiven Vergeben auseinanderzusetzen.
Der aktive Part: Verzeihen
Sie klingen so einfach, diese drei Wörter: „Ich verzeihe Dir.“ Wer das nach einem Seitensprung, nach einer belastenden Lüge und den darauf folgenden Geschehnissen zum Partner ohne weitere Bedingungen sagen kann, der gilt entweder als zu vertrauensselig oder als großherzig.
Tatsächlich fällt es den meisten sehr schwer, diese Worte auch nur auszusprechen. Geschweige denn, sie auch wirklich ernst zu meinen. Auch für langjährige Paare ist das noch eine echte Herausforderung. Mit einer Aussprache allein ist es damit nicht getan, denn das echte Verzeihen und Vergeben ist eine innere Haltung, mit der der Konflikt und auch die Verletzung selbst losgelassen werden. Und zwar vollständig, ohne weitere Vorhaltungen, ohne Kontrollen und Misstrauen.
Was das Verzeihen leichter macht, ist die Anerkennung der Bemühungen zur Heilung und Aufarbeitung seitens des Partners, wie
- die offene Entschuldigung des Partners
- die ab sofort funktionierenden Absprachen und eingehaltenen Vereinbarungen
- möglicherweise sogar eine Therapie und/oder Paarberatung als Lösungsansatz
- eigene Opferhaltung hinterfragen
Letzteres klingt etwas schwierig, meint aber dieses hier: Bei jedem partnerschaftlichen Konflikt innerhalb einer gesunden Beziehung finden sich zwei, die den Konflikt mittragen. Inwiefern hat man also selbst dazu beigetragen, dass sich der Konflikt entwickeln konnte? Wie kann man künftig damit umgehen, was muss sich an der Basis der gemeinsamen Beziehung ändern, um das in Zukunft zu vermeiden?
Der passive Part: Verzeihen annehmen
Man hat einen Fehler begangen, er ist aufgeflogen, der Partner ist zutiefst verletzt und die Beziehung hat ernsthaften Schaden erlitten. Es kommt in den stabilsten Beziehungen vor, ist aber für keinen in der Partnerschaft leicht zu bewältigen. Während der Verletzte das Vergeben mit sich selbst ausmachen muss, hat der Verletzende ebenfalls einen schweren Part vor sich: Er muss sich selbst verzeihen. Die Vorwürfe an sich selbst sind oft genug so schwer, dass man sich das kaum selbst vergeben kann. Schuldgefühle überwiegen und es bleibt das diffuse Bedürfnis, unbedingt Wiedergutmachung leisten zu müssen. Selbst dann, wenn der Partner alles längst verziehen hat.
Aus paartherapeutischer Sicht ist auch die Anerkennung der Verletzung wichtig. Ob es verpatzte Termine sind oder Seitensprünge, beide Beteiligten sollten die Verletzung sehen – und anerkennen. Das ist manchmal leichter gesagt als getan, schließlich ist spätestens beim Seitensprung für viele Partnerschaften das Aus vorprogrammiert. Für denjenigen, der Fehler begangen hat, ist deshalb wichtig:
- Fehltritte haben den Partner verletzt und dürfen nicht relativiert werden!
- Eigene Verletzungen und Mängel haben zu diesem Fehltritt geführt – und sollten ebenfalls gesehen werden!
Erst wenn beiden Partnern genau das bewusst wird, ist das Verzeihen in greifbarer Nähe.
Wenn nun der Betrogene sein Vertrauen beweist, indem er verzeiht – ist das ein Bonus, den auch der Betrüger annehmen können muss. Es ist ein Geschenk, das der Partner aus vollem Herzen gibt. Auch wenn dem Verletzenden die Annahme dieser Gabe schwer fällt, so wird sie doch aus bestimmten Gründen gemacht. Weil die Partnerschaft schon lange Bestand hat, weil man sich in vielen Punkten unendlich liebt, weil man sich sonst immer vertraut und sich aufeinander verlassen kann. In jeder Partnerschaft gibt es viele gute Gründe, gemeinsam den Weg weiter zu beschreiten, auch nach einem schwerwiegenden Fehler.